Buchtipp: Psyche? Hat doch jeder!

Buchtipp: Psyche? Hat doch jeder von Lena Kuhlmann
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Wer kennt es nicht: Wieso macht sie das? Wie kommt er denn nun darauf?

Ich verstehe das Verhalten einfach nicht. Wieso, weshalb, warum? Oft ist das Handeln unserer Mitmenschen für uns unverständlich. Das eine macht uns traurig, anderes ärgert uns sogar. Bei manchen Menschen gibt es Gründe, die tiefer liegen, als wir vermuten würden. Denn die Anzahl der psychischen Erkrankungen in Deutschland ist nicht zu unterschätzen. Fast ein Drittel der Bevölkerung sollen depressive Symptome aufweisen, rund 25% leiden laut Statistiken unter Angststörungen. Die Anzahl der jährlichen Todesfälle aufgrund von psychischen und Verhaltensstörungen steigt seit Jahren stetig. Und dennoch wollen viele die Problematik nicht sehen oder zumindest nicht akzeptieren. Warum ist die Psyche des Menschen eigentlich ein Tabu-Thema?

Lena Kuhlmann versucht genau das zu erklären und stellt in Frage, warum körperliche Krankheiten so viel mehr Toleranz erhalten als psychische. Warum wird eine Krebserkrankung nicht als Schwäche oder Absicht eingestuft, eine Depression oder Sucht aber schon? Bereits in ihrer Einleitung stellt die Autorin einen Zusammenhang zwischen psychischen Krankheiten und zum Beispiel einer Blasenentzündung her: „Vermutlich verschreibt der Hausarzt dann ein Medikament oder hat Tipps zur Genesung“, schreibt die Autorin und erläutert weiter, dass der Behandlungsablauf bei psychischen Krankheiten in der Regel sehr ähnlich ist. Der größte Unterschied – in der Gesellschaft sind die Krankheiten im Kopf nicht akzeptiert.

250 Seiten und ein ruhiger Tag auf dem Sofa

„Psyche? Hat doch jeder!“ ist in vier Kapitel unterteilt und wer mal einen Sonntag Zeit hat, schafft das Buch entspannt bei ein, zwei Kannen Tee. Ohne den Zeigefinger zu erheben, schafft es die Autorin indirekt und leicht auf die eigenen Fehler hinzuweisen. Höre ich meinen Mitmenschen genug zu? Höre ich auf mich selber? Und warum verschließen wir uns vor der Akzeptanz psychischer Krankheiten?

Im ersten Abschnitt nimmt Kuhlmann Bezug auf die theoretischen Grundlagen, wie eine psychische Störung entstehen kann. Mit welchen Konflikten kämpft ein Mensch im Laufe seines Lebens, welche Auswirkung kann die frühe Kindheit auf unser Leben nehmen und welche Abwehrmechanismen entwickeln wir im Laufe der Zeit.  Im zweiten Kapitel wird es etwas Praxis-naher. „Wann zum Arzt“ oder „Die erste Therapie“ lauten hier die Kapitel. Der Leser kann sich darüber informieren, wie er für sich selber oder seine Mitmenschen handeln sollte, wenn tatsächlich eine psychische Erkrankung vorliegt. Auch die negativen Seiten einer begonnenen Therapie werden von Kuhlmann beleuchtet. 

Im dritten Teil des Buches beschreibt die Psychologin ihre Arbeit: Also die eines Psychotherapeuten. Lena Kuhlmann versucht einen Überblick zu schaffen, wie ihre Arbeit aufgebaut ist und was alles dazu gehört. In Anlehnung an den Titel „Psyche? Hat doch jeder!“ thematisiert der Buch-Abschluss die gesunde Psyche und wie wir diese pflegen und erhalten können. Sport, Entspannung, Achtsamkeit und ein gutes soziales Umfeld sind eine Auswahl der Punkte, welche aus ihrer Sicht zum Wohlbefinden beitragen.

Immer wiederkehrend finden sich Zusatz-Kästchen auf den Seiten. Hier nimmt die Autorin Bezug auf Fallbeispiele, Infos und beschreibt sogar Übungen. Die persönlichen Anekdoten machen das Buch verständlicher und die Erklärungen wirken greifbarer. Dadurch schweift sie allerdings an manchen Punkten ab und kommt nicht zu ihrer ursprünglichen Thematik zurück.

Für mich gibt es allerdings einen negativen Aspekt: Die Autorin zeigt sehr deutlich, dass sie nichts von Coaches und Heilpraktikern hält. Aus ihrer Sicht haben diese keine fundierte Ausbildung und daraus resultierend unzureichende Kenntnisse. Doch es bedarf einer staatlichen Prüfung, um psychisches Heilen anbieten zu dürfen und es geht aus ihrer Sicht doch um die Akzeptanz der Krankheiten und darum, dass die Menschen gehört werden müssen. Warum sollte der Zuhörer also nicht ein Heilpraktiker sein, der sich Zeit nimmt. Die Behandlung mit natürlichen Heilmitteln ist für viele eine willkommene Alternative. Neben der Schulmedizin wird sie bei „klassischen“ Krankheiten mittlerweile weitestgehend anerkannt. Zu Anfang ihres Buches unterstreicht die Autorin, dass eine Unterscheidung der körperlichen und psychischen Krankheiten nicht richtig ist – warum also nicht bei Behandlungs-Möglichkeiten

Kleiner Einblick in die Psyche

Positiv kann man erwähnen, dass Lena Kuhlmann einen sehr einfachen Schreibstil wählt. Egal ob vom Fach oder kompletter Laie, sie spricht mit ihrem Buch jeden an, der mehr über die Psyche des Menschen lesen möchte. Wer fachliterarische Ansätze erwartet, wird allerdings enttäuscht. Das Thema „Psyche“ wird von der Autorin durchweg positiv beleuchtet. So schafft sie es die Vorurteile über psychiatrische Einrichtungen und bestimmte Krankheiten auszuräumen. Auf der anderen Seite scheint sie die Psyche betont locker darstellen zu wollen und trifft damit vermutlich nicht Jedermanns Humor.

Allem in allem bietet Lena Kuhlmann mit ihrem Buch einen Rundum-Blick auf die Zeit vor, nach und während einer psychischen Erkrankung und warum auch die gesunde Psyche eine nicht unwesentliche Rolle in unserem Leben spielt. Ein bisschen mehr Selbstverständnis und Empathie gegenüber unseren Mitmenschen – wer das erreichen möchte, sollte dieses Buch auf jeden Fall lesen. 

Über die Autorin

Lena Kuhlmann wurde 1985 geborgen und ist staatlich anerkannte Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin. Hauptberuflich ist sie in einer psychiatrischen Ambulanz und einer sozialpsychiatrischen Praxis tätig. Als Bloggerin und Autorin versucht sie nebenbei auf die Missstände in der Therapie und der Akzeptanz psychisch Kranker hinzuweisen und gegen diese abzuarbeiten.




Psyche? Hat doch jeder!

Autorin: Lena Kuhlmann

250 Seiten, Taschenbuch

Eden Books

16,95€ (D)

ISBN: 978-3-95910-150-9 

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